Deine Bindungserfahrung
Mein größtes und wichtigstes AHAAA, das ich in den letzten Jahren während meiner Arbeit mit unzähligen Klient:innen gesammelt habe, bestand in der Erkenntnis, wie groß dieser Wandel in unserer Elterngeneration und wie tief die Ebene, auf der er stattfindet, tatsächlich ist und wie er sich genau ausdrückt.
Er zeigt sich nämlich genau an der Stelle, an der es in deiner Familie so oft kompliziert wird.
Wir sind nicht nur diejenigen, die Erziehungsmittel der letzten Jahrhunderte ins Museum stellen und die daher vor der Frage stehen, mit welchem Werkzeug sie ihre schönen Ziele fürs Kind denn bitteschön umsetzen sollen, wenn Strafe, jeder Form der Härte, das Nutzen von Angst und Beschämung usw. keine adäquaten Mittel mehr sind.
Wir sind nicht nur auch diejenigen, die daher mal eben schnell lernen müssen, wie Beziehung und Vertrauen wirklich funktionieren, damit wir überhaupt irgendwas in der Hand haben, um diese Aufgabe zu lösen und ohne Kontrolle und Gehorsam auszukommen.
Nein, noch viel besser.
Wir sind auch die Generation an Eltern, die es geschafft hat, die eigenen unschönen Bindungserfahrungen, Bindungstraumata und Bindungsstörungen -und nun schnall dich an: tadaaaaa- NICHT ans Kind weiterzugeben!
Jawohl.
Richtig gelesen.
Dafür hast du einen Nobelpreis verdient. Mindestens.
Die meisten Eltern unserer Generation haben sehr sicher gebundene Kinder (da hat die Psychoedukation der letzten Jahrzehnte was bewirkt!), während die meisten Eltern unserer Generation eher unsicher gebundene Kinder waren.
Ist dir das klar?
Womöglich trifft in deiner Familie also unsichere Bindungserfahrung auf sichere Bindung und das ist ein riesiges Spannungsfeld.
Unsichere Welt trifft auf sichere Welt.
Wenig Vertrauen und eine „ich-muss-was-(in dir)-tun-damit-es-gut-ist-Haltung trifft auf Vertrauen und Zuversicht.
Am wichtigsten aber: deine ersten Erfahrungen mit einer eher unvorhersehbaren Welt brachten Gefühle der Überforderung und Einsamkeit mit sich.
Und die treffen in deinem Kind auf Unverständnis, denn das, was du da mit dir trägst und wovor du es womöglich bewahren magst, ist für es ja gar nicht real.
Es fühlt sich ja gar nicht alleine und verlassen und traurig, denn es hat ja DICH.
Wenn aber deine Bindungserfahrungen nicht sicher oder an Bedingungen geknüpft waren, dann gab es kein DICH.
Dann hast du das mit dir selbst ausmachen müssen.
Dann warst du alleine rund traurig und dann möchtest du dein Kind genau davor bewahren.
An genau dieser Stelle wird’s in Familien meiner Beobachtung nach dann sehr kompliziert. Das Kind entwickelt in der Folge nämlich ein übergroßes Bedürfnis nach Autonomie und ist gar nicht mehr gut erreichbar, während ein Elternteil immer noch versucht, diese Distanz zu überwinden und Nähe wiederherzustellen.
Eben weil Bindung nie als so sicher erlebt wurde, wie sie gesund gewesen wäre.
Es kollidieren Welten.
Und es tut sich eine neue auf, wenn du das begreifst.
Eure gemeinsame Welt.
Break the cycle.