Haltung sticht Handlung…
Letztens wurde ich gefragt, was jemand tun soll, wenn das Kind vor dem Essen ein Nutellabrot möchte.
Obwohl das Essen nur noch fünf Minuten dauert.
Obwohl es das Lieblingsessen des Kindes gibt.
Obwohl diejenige alle guten Gründe aufgefahren hat, sich die Zustimmung ihres Kindes zu ihrem Nein zur Süßigkeit einzuholen.
Das Kind fand das Nein so blöd, dass es den Fernseher mit Sonnencreme verziert hat.
Das fand die Mutter berechtigterweise sehr blöd.
Wir waren uns an dieser Stelle schnell einig, dass es hier nicht um Nutellabrote geht, sondern um ein unterdrücktes Autonomiebedürfnis, das Nutellabrote und Sonnencreme benötigt, um auf sich aufmerksam zu machen.
Nicht ganz so schnell waren wir uns einig in ihrer Bereitschaft, nicht zu einer Handlung finden zu müssen, um die nächste brisante Nutellasituation aufzulösen.
Ich verstehe den elterlichen Wunsch zu wissen, was zu tun ist und ich bin großer Fan von unversehrten Fernsehern, aber um zu wissen, was zu tun ist, müssen wir einen Unweg gehen und die Frage nach der Handlung hintenanstellen und die Frage nach der Haltung in den Vordergrund rücken.
Wir müssen uns fragen, was wir fühlen und denken beim Nutellabrotnein und bei all den anderen Neins davor und vor allem bei unserem Wunsch, das Kind auch außerhalb dieser Situationen zu führen, zu bewahren, zu beschützen, zu wissen was gut für es ist, es an uns zu binden und ja, es zu kontrollieren in seinen Handlungen.
Weil wir es ja gut meinen.
Autsch.
💚
Nicht was du tust, in einer einzelnen Nutellasituation, entscheidet also darüber, wie sich die Beziehung zu deinem Kind gestaltet, nicht irgendein Erziehungsstil und nicht ob du das „Richtige“ tust, sondern deine Haltung entscheidet darüber, was du da gerade tust.
Das Motiv hinter dem Motiv entscheidet, wie die Sache ausgeht.
Irgendeinem Erziehungsstil oder irgendeiner Handlungsempfehlung für diese eine Situation kommt nämlich immer deine innere Haltung in den Weg, denn sie ist es, die du mit dir spazieren trägst – ob du es merkst oder nicht, und ob du es willst oder nicht.
Und in einem Nein zu einem Nutellabrot kann sich genauso viel Elend sammeln wie in einem Ja. Die Antwort auf diese Frage ist völlig beliebig, solange die unbewusste Haltung dahinter nicht klar ist, die dazu führt, dass im Kind ein Mangel entsteht, der sich auf eine beliebige Weise, mal laut und offensiv und mal leise und ohne Kampf, ausdrückt.
Die Lösung ist selbstverständlich abermals nicht die Handlung und damit ein unbegrenztes Ja zu Nutellabrötchen, auch wenn diese Schlussfolgerung schnell und gern gezogen wird. Die Konsequenz daraus kann es nur sein, sich zu fragen, was in deiner grundsätzlichen Haltung, die das Kind den lieben langen und ganzen Tag wahrnimmt, signalisiert, dass du der Entscheider bist.
Die Instanz.
Die Macht.
In deiner Haltung finden sich all deine über Jahre gesammelten Erfahrungen, vor allem aber all die unbewussten Überzeugungen, die du aus deinen Erfahrungen gefolgert hast und da jeder Handlung eine innere Haltung vorausgeht, wirst du im Zweifel gemäß deiner Haltung handeln und nicht gemäß dessen, was nun besser wäre.
Oder andersrum: handelst du entgegen deiner inneren Haltung fühlt sich das für dich falsch an und dein Kind verwirrt es.
Haltung sticht Handlung.
Das alleine wäre ja schon unschön genug, aber an genau dieser Stelle landen dann viele Eltern in der persönlichen Schuldfalle. Denn wenn sie wirklich gute Eltern wären, dann würden sie das ja wohl hinbekommen, so denken sie.
Nein.
Würdest du nicht.
Wenn du das Essen versalzen hast, hilft es nicht zu pfeffern, bis du das Salz nicht mehr schmeckst. Du musst erst den Salzgeschmack neutralisieren – ich glaube, meine Oma hat dann eine Kartoffel hineingegeben.
Wenn du die Beziehung zu deinem Kind verbessern möchtest, kümmere dich um deine Haltung, nicht um deine Handlung.
Aus authentischer Haltung, die dir entspricht, deinem ganz eigenen „Gut“ und „Schlecht“ für dich und dein Kind, fern von erziehungsstilspezifischen „Richtigs“ und „Falschs“, die zwar manchmal wünschenswert, aber nie erstrebenswert sind, erwachsen Handlungen, die dich für dein Kind vorhersehbar, nahbar und echt machen und die es in seiner Wahrnehmung stärken, weil Innen und Außen übereinstimmen.
Dann kann deine Handlung am Montag eine andere sein als am Freitag und noch immer einer kongruenten Haltung entspringen.
Dann kann das Nutellabrot okay sein weil du darüberstehst und die offenkundige Not der fehlenden Autonomie dein Kontrollbedürfbis sticht.
Dann kann das Nutellabrot nicht okay sein, weil es dir gelingt, mit deinem Kind über sein echtes Bedürfnis dahinter zu sprechen und es während der anderen 23 Stunden des Tages zu versorgen.
Da stellt sich die Frage nach dem Nutellabrot nicht mehr, weil es die Situationen nicht mehr gibt, weil du längst daran arbeitest, Gott und die Welt nicht mehr krampfhaft festzuhalten, aus Angst, die Kontrolle zu verlieren.
Dann gehts nicht mehr um Ja oder Nein, sondern um Haltung, die euch entspricht, während du einfach Ja oder Nein sagen kannst.
Weil dein Kind dann weiß, wer du bist und nicht wer du zwanghaft sein musst.
Weil es dann lernt, dass Beziehung nur ohne Masken funktioniert und auch Erwachsene mal ohne Plan sein dürfen, wachsen dürfen, Fehler machen dürfen.
Weil ihr euch dann nah sein könnt, nicht müsst.
Nur wer nah sein möchte, weil er auch anders kann, muss nicht Distanz schaffen und Fernseher zerstören.
Echte Nähe zu deinem Kind entsteht in dir.
❤️
Break the cycle.