Mein liebes Kind
Mein liebes Kind,
jetzt ist es so weit. Nach fast 19 Jahren, in denen ich mit dir Tisch und Bett und Tränen der Sorge und Freude geteilt hab, ziehst du nun sehr sehr bald als zweites von drei Kindern aus.
Nicht mehr so auf Probe mit zwei Schlüsseln unter einem Dach aber mit einer gemeinsamen Waschmaschine.
Nein.
So richtig.
So mit eigenem Umzugswagen, selber anmelden, selber deine Welt gestalten.
Und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es mir das Herz nicht herausreißt.
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mich nicht heimlich zurücksehne nach den Tagen, an denen du mein Leben mit deinem lauten Kinderlachen und deinen vielen schelmischen Ideen aufgehellt hast.
Die Tage, an denen ich mal wieder in die Schule zitiert wurde, weil du mal wieder auf die Ohnmacht des Erwachsenen reagiert hast, indem du sie ihm zurückgibst und an die Tage, an denen du deinen Erziehern im Kindergarten die Gnocchi vor die Füße gebrochen hast, weil du sie mal „probieren“ solltest.
Ja, manchmal sehne ich mich zurück in die Zeit mit diesem so irritablen Schreibaby, das du warst und als das du jede Stimmung der Familie aufgenommen hast wie ein Seismograph und an denen du dich nur beruhigen ließest, wenn du Stunde um Stunde auf meinem Bauch liegen und meine Haare in deine Fingern halten und sie zwirbeln durftest.
Ich vermisse die Tage, an denen wir uns schon zum Frühstück gestritten haben, nur um zum Mittagessen schon wieder dazugelernt zu haben.
Ich denk nun zurück an die Tage, wie jenen auf dem Foto, an denen ich dachte, unsere Zeit sei für immer und an denen 18 nur eine ferne und vollkommen utopische Zahl war.
Gefühlt war das gestern und ich sehne mich danach, all diese Momente zurückzuholen und klammere mich an jede einzelne Erinnerung deines jungen Lebens, so als könnte ich sie dadurch zurückholen.
Nein, nicht damit ich sie nicht vergesse.
Sondern weil sie so schön waren. Unsere Momente waren so schön, dass ich einfach nicht will, dass sie aufhören. Und weil ich, zugegeben, ein bisschen Angst hab, dass sie aufhören.
Was sie nicht werden, das weiß ich ja.
Sie verändern sich lediglich.
Aus den Momenten werden Erinnerungen.
Aus Schutz wird Stolz.
Aus Abhängigkeit wird Verbundenheit.
Und alles zusammen macht Freude.
Und Freude und Schmerz liegen einfach immer verflixt nah beieinander.
Freude darüber, wer du bist.
Widerspenstigkeit und Wärme in Personalunion. Verletzlichkeit und Stärke in einem. Neugier und Sensibilität zur immer gleichen Zeit.
Und als all das gehst du jetzt in die Welt und schnappst sie dir.
Machst sie zu deiner. Fällst auf die Nase, nur um stärker aufzustehen und um nie zu vergessen wer du bist: Liebe.
Du bist eine Liebe meines Lebens.
Eine Liebe, deren Schönheit und Klugheit ich schon lange bewundere und es dich dennoch viel zu selten wissen ließ, weil alles sich so oft einfach nie genug anfühlt.
Künftig dann räumlich ein wenig mehr aus der Ferne.
Im Herzen niemals.
Und während ich diese Zeilen hier schreibe und mir die Tränen laufen, kommst du zwei Mal in mein Zuhause, wo der Sonntagmittag so gar nicht deine Uhrzeit dafür ist.
So warst du schon immer. Du weißt die Dinge bevor die anderen sie wissen.
Das ist Fluch und Segen zugleich.
Ich weiß das.
Du weißt das.
Aber du weißt sowieso alles, was du wissen musst, um dir das Leben zu basteln, das auf dich wartet.
Ein wunderbares.
Ich weiß es.
Flieg.
Ich schau dir zu.
❤️
Break the cycle.