Schulnoten sind auch nur Zahlen
Nach und nach purzeln die Bundesländer in die Sommerferien und das bedeutet Zeugniszeit!
Mein jüngster Sohn erhielt letzten Freitag seine report card und da wenig überraschenderweise gar nicht klar war, ob er versetzt werden würde, rief ich ihn in einem stillen Moment von der Traumawoche aus an, um ihm zu acht (
) Wochen Sommerferien zu gratulieren und um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten.
Der Verlauf war ungefähr so:
„Und? Wurdest du versetzt?“
„Nein.“
„Nein?“
„Oder doch, ja.“
„Was denn jetzt?“
„Ich weiß es nicht. Ich schau mal nach.“
…
..
Ich brach wirklich in ungläubiges und schallendes Gelächter aus, angesichts dieser Unbekümmertheit gegenüber Umständen, denen er sich nicht ausliefert. Er verweigert ihnen einfach die Relevanz.
Und ja, er wurde versetzt (frag mich nicht wie
)
Sorgt mich das manchmal, obwohl ich ticke wie er?
Natürlich.
Ich habe die Prinzipien dieser Leistungsgesellschaft genauso inhaliert wie du.
Ich nehme sie nur nicht mehr wirklich ernst.
Wie würde es dir gehen in dieser Situation?
Wie geht es Eltern, die in diesen Tagen kaum etwas mehr umtreibt, als die Sorge, ihr Kind könne im Laufe seines Schullebens scheitern?
Wobei bereits die Definition von „scheitern“ sehr individuell ist.
Während für die einen bereits eine 3 auf die Apokalypse hinweist, beginnen andere sich erst zu sorgen, wenn dem Kind schon wieder das Sitzenbleiben droht.
Und warum?
Warum sollten ein halbes Dutzend Zensuren darüber entscheiden, wie ein Leben verläuft?
Warum glauben wir, dass Noten darüber bestimmen, welches Leben ein Kind führen wird, ob ihm das entspricht, ob es Ziele entwickelt und seine Fähigkeiten entfalten kann?
Ich sag’s dir.
Weil wir ja immer das Beste wollen fürs Kind und wir Schulerfolg mit Überleben verknüpfen.
Super Abschluss = super Bedingungen.
Super Bedingungen, den Job der Wahl auszuüben, Geld zu verdienen und ein Leben in Sicherheit zu führen.
Dann wär der Start ins Leben gut gelungen.
Nach Plan, quasi.
Läuft.
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass ein fehlender guter Abschluss diesen Fortgang gefährdet und das gilt es unbedingt zu vermeiden, denn der gute Job und das Einkommen sind ja existenziell.
Sag ich ja.
Es geht ums Überleben.
Abgesehen davon, dass es für das Kind ein unerträglicher Zustand ist, zu spüren, dass an jede Zensur, jede in Unlust verpackte Hausaufgabeneinheit irgendwie (emotionales) Überleben geknüpft ist, nämlich deins, geht es für uns schon lange nicht mehr ums Überleben und, als sei das nicht erschütternd genug für unsere auf Sicherheit getrimmten Gehirne:
die Gleichung geht längst nicht mehr auf.
Es ist längst nicht mehr so, dass der gute Abschluss den guten Job und das lebenslange sichere Auskommen garantiert.
Nix ist mehr sicher und das ist auch gut so.
Darin liegt die Chance auf eine ganz andere Sicherheit, als die konstruierte, an die man sich klammern muss, um sie zu spüren: die Chance, Vertrauen ins Leben zu gewinnen.
Was Eltern umtreibt, ist also mal wieder Angst.
Angst, ihr Kind könne scheitern, Angst, es könne nicht gut genug sein, Angst es könne im Leben nicht zurechtkommen, Angst sie könnten nicht genug getan haben, Angst das Kind begreife den Ernst der Lage nicht, ja sogar Angst, die Verantwortung fürs Kind währe ein Leben lang und sei nie wieder loszuwerden, weil das Kind einfach beschließen könnte, sie nicht für sich entwickeln könnte.
Angst, Angst, Angst.
Schließlich geht’s ja ums Überleben.
Tatsächlich bereitet uns Schule also lediglich darauf vor, einen Job zu erhalten und unseren Lebensunterhalt zu verdienen.
Und je unsicherer ich in mir als Persönlichkeit bin, desto wichtiger ist die scheinbare Sicherheit darin.
Und um diese Sicherheit nicht zu gefährden, braucht es immer mehr und mehr.
Mehr an Einsatz, mehr an Leistung, mehr an Wille, mehr an Übung – schließlich lässt sich im System Leistung ja ganz wunderbar vergleichen wo man selbst steht und wer da rausfliegt, hat schon verloren.
Da geht’s nicht um Identifikation mit dem eigenen Schaffen, es geht ums Abliefern, ungeachtet der Bedingungen.
All das findet sich in deiner Aufforderung an dein Kind Vokabeln zu lernen.
All das findet sich in seiner Weigerung Hausaufgaben zu machen und in dem Kampf, den ihr darum führt.
All das findet sich in der Zeugnisnote deines Kindes.
In seinen Noten wird jedoch nicht sichtbar, wievielen Kindern es seinen Radierer ausgeliehen, wie oft es sein Pausenbrot geteilt oder sich für Mitschüler eingesetzt hat.
Es zeigt sich nicht, wie oft es Angst hatte, nicht zu genügen, ob die Zeitnot es stresst, wie gerne es dem Lehrer mitgeteilt hätte, dass es sich unfair behandelt fühlt oder dass es ihm schlecht ging, weil seine Eltern sich am Morgen gestritten haben.
Es zeigt sich auch nicht, wovon es träumt, welches ureigene Potenzial es in sich trägt, das die Welt so sehr braucht oder dass es den Wunsch hat, den Platz in sich einzunehmen, an dem es ein außergewöhnliches Leben führen kann, das ihm entspricht.
Es zeigt sich nicht mal, ob es sein Bestes gegeben hat, geschweige denn, ob es sich identifiziert mit seinem Tun.
Es zeigt lediglich, ob es tut, was verlangt ist und als sei das nicht schlimm genug, nein:
ob und auf welche Art ihm das gelungen ist, beurteilt ein anderer und das ist immer unvollständig und nie objektiv.
Schule bereitet uns nicht darauf vor, wie wir Ziele entwickeln, zufriedene Menschen sind oder werden oder bleiben, wie wir unsere Gesundheit achten, verantwortlich für unsere Gesellschaft handeln, wie wir lieben, wie wir unserer Intuition folgen, wie Achtsamkeit oder Weisheit funktionieren oder wir sie in die Welt bringen.
All die Lebensbereiche, die darüber entscheiden wer wir SIND, sind nicht von Bedeutung.
Überbewertet und auf höchst subjektive Weise sind nur die Bereiche von Belang, in denen es darum geht, was wir TUN.
All die Bereiche, die tatsächlich darüber entscheiden, was es braucht, um ein erfülltes Leben zu leben, Freude am Schaffen zu spüren, Sinnhaftigkeit in die Welt zu bringen, spielen nicht nur keine Rolle, sie stehen sogar in Konkurrenz zum Leistungsprinzip Schule und untergraben damit auf paradoxe Weise die Anstrengungsbereitschaft und die Lust am Leisten.
Jede Persönlichkeit, ob groß oder klein, möchte nämlich ursprünglicherweise durch ihr Tun ausdrücken wer sie ist.
Und deshalb braucht dich dein Kind.
Es braucht dich, um zu relativieren.
Es braucht dich, um sich weiterhin zu erkennen, wenn andere es nicht erkennen.
Es braucht dich, um nicht zu vergessen, dass es gut genug ist, auch wenn für andere nicht gut genug ist, was es tut.
Zensuren sind Zuschreibungen von außen, begleitet von dem Wunsch, dein Kind möge sich mit ihnen identifizieren. Dein Kind hat aber kein Interesse an der Identifikation mit der subjektiven Einschätzung eines Dritten, das umgebende System des Kindes hat ein Interesse daran.
Noten sagen nichts darüber aus, wer dein Kind ist und sie entscheiden auch nicht darüber, wie das Leben deines Kindes verläuft.
Das entscheidet dein Kind.
Und das lernt es durch dich.
Weil du entscheidest, welche Mittel es für seine Träume, seine Ziele und den Ausdruck seines Potenzials im Rucksack hat und weil es an dir lernt, sich und seinen Zielen zu vertrauen.
Häng seine Bindung nicht an seine Noten und geh deiner Angst nicht auf den Leim.
Lass nicht zu, dass seine Identität an einer Zahl hängt.
Folg nicht der Angst sondern deinem Kind.
Break the cycle.