Wer nah ist, muss nicht erreichen.
„Fräuleinchen, wenn ich rufe, will ich dass du spurst.“ hallte es mal über den Gartenzaun hinein in meine Ohren.
Ich war geneigt, nach der Hundepfeife zu graben, die ich noch irgendwo haben musste.
Ich wundere mich noch immer und immer wieder, dass der Anspruch, das Kind habe zu „hören“, so weit verbreitet ist.
Dein Kind ist nicht auf der Welt, um dir zu folgen, sondern ausschließlich sich selbst, aber es ist darauf angewiesen, dass es sich von dir führen lässt, wenn es notwendig ist.
Dein Kind überschreitet also nicht deine Grenzen, wenn es wieder und wieder nicht darauf hört, was du von ihm möchtest- du überschreitest seine Grenzen, wenn du den Anspruch hast, dass es tut, was du erwartest.
Man nennt das übrigens Gehorsam.
Dein Kind muss nicht auf dich hören, damit dein Leben leichter wird, sondern damit seins leichter wird.
Dein Kind kann nicht auf dich hören, wenn es sein Bedürfnis nach Autonomie von dir gefährdet sieht, nicht mal dann, wenn du es beschützen möchtest, weshalb du besser keinen Anspruch auf Folgsamkeit hegst, damit es sich auch leisten kann, dir zu folgen, wenn es wirklich bedeutsam ist.
Damit es kann, wenn es unbedingt muss, muss es nicht dürfen können oder anders ausgedrückt: damit es müssen kann, darf es nicht sollen und du musst mal dein Muss überprüfen
Wieso bist du darauf angewiesen, frontal und von mir aus auch über 27 Ecken dafür zu sorgen, dass dein Kind tut, was du für es für besser hältst?
Wieso bist du darauf angewiesen, es vor seiner eigenen inneren Stimme zu beschützen und vor Fehlern und Scheitern zu bewahren?
Wieso umgehst du mit deinem Anspruch auf Folgsamkeit den Frust und die Ohnmacht dein Kind nicht zu „erreichen“ und verursachst auf diese Weise dennoch immer wieder Ohnmacht in dir?
Wieviel Gewicht deiner Gefühle hängt für dein Kind daran, dass es dir folgen muss und wie unfrei macht das seine Entscheidung, dir folgen zu wollen?
Mit dem geäußerten Anspruch an dein Kind, es möge aber erreichbar und willens sein, auf dich zu hören, drückst du ihm deine Ohnmacht in die Hand, der es sich durchs Nichthören entzieht.
Das ist keine autonome Entscheidung sondern Widerstand.
Damit gehört ihm die Verantwortung dafür, wie eure Beziehung sich gestaltet, indem es nämlich darüber entscheidet, ob es tut was du erwartest oder nicht, während du vergessen hast, dass es deine Aufgabe ist, diese Verantwortung nicht aus der Hand zu geben.
Und dann wunderst du dich, dass es sich entscheidet, weiter nicht auf dich zu hören?
Dass es nicht wieder in die Beziehung einsteigt, aus der heraus du dir seine Bereitschaft lediglich wünschen könntest, aus der du mit deiner Erwartung des „Hörens“ aber schon vorher ausgestiegen bist?
Kinder die nicht hören, verfügen über eine sehr laute innere Stimme auf die sie hören und über eine ausgesprochen gute und intakte Beziehung zu sich selbst.
Wenn du dir wünschst, dass du dein Kind erreichst, brauchst du also lediglich eine so gute Beziehung zu ihm, wie die, die es mit sich selbst führt.
Und dazu brauchts lediglich eine liebevolle Beziehung zu dir selbst, in der deine Gefühle nicht davon abhängig sind, was dein Kind tut oder nicht.
Kannst ja mal bei ihm nachHÖREN, wie das funktioniert.
Wer nah ist, muss nicht erreichen.
Break the cycle.