Du bist längst rausgewachsen aus strafen und belohnen
Strafen und Belohnungen, im Deckmäntelchen des Guten, sind ein überliefertes Mittel des Erwachsenen, die eigenen Grenzen zu wahren. Sie sind primitives, aber höchst wirksames Werkzeug, das Kind mit kurzem Prozess dazu zu bringen, zu tun, was wir für es für richtig halten.
Was wir in Wahrheit meinen, ist, es dazu zu bringen, was WIR für richtig halten.
Womit Bestrafung des Kindes dazu dient, die eigenen Wünsche durchzusetzen und die Kontrolle über das Verhalten des Kindes zu bewahren, während wir uns gleichzeitig erzählen, dass das ja nicht anders ginge.
Wir glauben also lieber, dass das Kind entarten würde, wenn wir es nicht disziplinieren, als uns einzugestehen, dass wir den Kontrollverlust über sein Verhalten nicht aushalten.
Du packst also dein Kind in die Box, um dich in deiner Box komfortabler zu fühlen und erzählst dir und deinem Kind, dass das in seinem Sinne sei.
Überleg dir lieber, ob du wirklich weiterlesen magst.
Mal ganz deutlich:
Jede Auszeit im Kinderzimmer, um das Kind auf Spur zu bringen, jedes Fernsehverbot und jede Sanktion, mit der du deine Macht ausübst, UM im Kind etwas zu erreichen, sind Gift für eure Beziehung und Ausdruck deines Wunsches der Konditionierung deines Kindes auf Richtig und Falsch.
Dieses Gift zerstört nicht nur eure Beziehung, weil das Kind sich seiner Abhängigkeit dir gegenüber bewusst wird und das Vertrauen in dich (und damit die Welt) verliert.
Das Gift verteilt sich in der Beziehung zu sich selbst. Es gerät in eine Ohnmacht und das Gefühl des Ausgeliefertseins und das gefährdet sein psychisches Grundbedürfnis nach Bindung.
Und was meinst du wohl, was dein Kind tun wird, um dieses unerträgliche Gefühl zu vermeiden?
Genau. Es wird all das tun, was gewünscht wird, damit es keine Angst haben muss oder es entwickelt auf Dauer oppositionelles Verhalten (hoffentlich!).
Unbewusst sorgt es nun dafür, zu tun, was seinem Überleben dient. Das hat die Natur schlau eingerichtet.
Es wird lernen zu erkennen, was die Umgebung für richtig hält und sich daran orientieren.
Es wird lernen, sich zu limitieren und seine eigenen Bedürfnisse den anderen unterzuordnen.
Es wird lernen, sich von sich selbst zu trennen, weil das für sein emotionales Überleben unabdingbar ist.
Es wird lernen, anderen zu folgen anstatt sich zu vertrauen.
Es wird lernen, dass es erleichtert, nach Schuld zu suchen statt nach dem Warum.
Es wird lernen, dass seine Gefühle und Bedürfnisse weniger wert sind als die der anderen und es wird sich schuldig dafür fühlen, so viel falsch zu machen.
Es wird sich im Wesen falsch fühlen und als Erwachsener vermeiden, sich dessen bewusst zu sein.
Woher also kommt dieses Misstrauen, dass Kinder zügellos und unkontrollierbar grundsätzlich dahin steuern, wo wir sie nicht sehen wollen, dass wir Sodom und Gomorrha verhindern müssen, weil diese kleinen Monster uns sowieso nicht freiwillig folgen und jede Lücke nutzen, ihren Kopf durchzusetzen?
Wieso erzeugen wir ein Klima aus Angst vor Strafe oder eine Gier nach Anerkennung durch Belohnung? Was sagt das über unsere Haltung gegenüber diesen kleinen Menschen aus?
Ich sag’s dir.
Weil die Alternative anstrengend ist und über dich führt und sich deine Wünsche nicht zwingend mit denen deines Kindes decken und du dich nicht nur damit auseinandersetzen musst, sondern auch deine Wünsche von seinen trennen müsstest.
Weil es so viel leichter ist, kurzen Prozess zu machen, indem du Anreize schaffst oder künstliche Grenzen setzt, ohne zu erkennen, wie begrenzt so ein Kinderleben naturgemäß bereits ist.
Weil Strafen das Relikt vergangener Generationen sind, die das Verhalten des Kindes mit Gehorsam kontrolliert haben und du das so und nicht anders erfahren hast.
Weil es mühsam ist, immer wieder dafür zu sorgen, dass die Beziehung zum Kind intakt ist.
Weil es noch anstrengender ist, die eigene Angst zu parken, das Kind könne entarten, entgleiten, irgendwie „falsch“ werden, sofern es nicht frühzeitig auf diese Welt vorbereitet wird ohne dabei zu vergessen, dass du selbst die Vorbereitung bist, durch die es die Welt erfährt.
Dein Kind möchte dir folgen, es möchte dir von Natur aus gefallen, schon weil es darauf angewiesen ist, es möchte dir vertrauen, dass die Entscheidungen, die du für es triffst, weil es sie noch nicht zu treffen in der Lage ist, in seinem Sinne sind und ihm dienen.
Es möchte von dir in die Welt geführt werden, wo es das noch nicht kann und ja das sollst du tun.
Und ja, dazu braucht es dein Vertrauen in dich, eben dass diese Entscheidungen richtig sind und nein, dazu musst du nicht das alte Werkzeug des Gehorsams auspacken, denn nur darauf zielen Strafen ab.
Die Alternative ist Arbeit!
Und manchmal furchtbar nervtötend.
Da musst du dich beweisen und nicht das Kind, weil du die Verantwortung dafür trägst, wie eure Beziehung sich gestaltet.
Falls du nicht gut darin bist, deine eigenen Grenzen wahrzunehmen oder zu wahren, legen andere in deiner Umgebung dir an dieser Stelle vielleicht nah, sie zu wahren, indem du belohnst und bestrafst, weil sie erkennen, dass dem Kind etwas fehlt. Was ihm da fehlt, ist aber nicht das Werkzeug der Strafe, das durchaus geeignet ist, das Kind zu führen, sondern das Resultat daraus: sein Halt, deine Stärke und deine Klarheit.
Deine Bereitschaft zur verantwortungsvollen Führung in der Beziehung zu deinem Kind.
Beziehung verträgt keinen Gehorsam.
Beziehung fragt nach dem Warum für ein Verhalten und stellt die Ursache ab.
Belohnung als kleine Schwester der Bestrafung aus deinem Familienleben zu verbannen, ersetzt also nicht deine innere Klarheit über deine Grenzen und dein Einstehen für das, was dir wichtig ist.
Du kommst nicht drumherum, dich damit auseinanderzusetzen.
War ja klar, oder?
Wie wäre es anstelle von Belohnung heute mal mit absichtslosem Lob als Ausdruck der Freude für dich, wenn es dir gelungen ist, ganz bei dir zu sein und dein unangenehmes Nein auszuhalten?
Absichtsloses Lob dafür, dass du darauf vertraust, dass dein Kind naturgemäß den Wunsch nach Entfaltung seines Wesens UND Zugehörigkeit in sich trägt?
Absichtsloses Lob dafür, dass deine starke Haltung deinem Kind ausreicht, Werte zu entwickeln um ein wundervoller und bereichernder Teil dieser Gesellschaft zu werden?
Absichtsloses Lob dafür, dass du das alte Werkzeug Strafe endgültig in der Box verbuddelst und die Box verlässt.
Du bist längst rausgewachsen.
Break the cycle.