Der Frieden von morgen…
Der 30. April ist Tag der gewaltfreien Erziehung und soll dafür sensibilisieren, sich für das gewaltfreie Aufwachsen von Kindern verantwortlich zu fühlen.
Ist dir das drei Minuten Lesedauer wert?
Gewaltfreie Erziehung mag in Deutschland auf den ersten Blick ein wenig leichter erscheinen als an manch anderen Spots dieser Erde, aber wenn wir ganz genau hinschauen, dann lassen wir uns von dem Eindruck nur zu gern täuschen.
So wurde ich im letzten Jahr oft gefragt, wie ich persönlich mit der Situation in der Ukraine umgehe.
Du könntest mich auch fragen, wie gehe ich mit der Tatsache um, dass im Jahr 2016 mehr als 357 Millionen Kinder in Gebieten lebten, die von Konflikten betroffen sind.
Oder damit, dass die Zahl der durch die UN verifizierten Tötungen und Verstümmelungen von Kindern etwa stark angestiegen ist: seit dem Jahr 2010 um fast 300 Prozent.
Oder damit, dass allein im Südsudan Truppen 19.000 Kindersoldaten in den Krieg gezwungen haben.
Wie gehen wir also damit um, dass diese Welt an zu vielen Stellen ein einziger Schrotthaufen ist und dass gerade eine reale Gefahr für den ganzen Planeten besteht, und zwar in einem Ausmaß, das wir nie für möglich gehalten hätten?
Ich persönlich habe keine Angst vor einem sich ausbreitenden Krieg, der so ziemlich das Ende für diese Welt bedeuten würde, obwohl ich mir der Bedrohung völlig im Klaren bin.
Ich habe diese Angst nicht, weil ich das so entschieden habe.
Das ist meine ganz persönliche Strategie, mit der Art von Angst umzugehen, die mich lähmen und vom Weiterleben abhalten würde. Sie würde meinen Tag regieren, meine Lebensgrundlage ins Wackeln bringen und über die Lebensqualität der nächsten Wochen oder Monate oder Jahre, wer weiß das schon, der Kindheit meiner Kinder bestimmen und da mach ich nicht mit.
Dies ist mein einziges Mittel der Ohnmacht zu begegnen, dass ich am Ende über gar nichts entscheiden kann, was mein Leben und meinen Tod betrifft.
Über nichts und wieder nichts.
Das habe ich akzeptiert.
Und wenn ich das schon nicht kann und mir darüber völlig im Klaren bin, dann kann ich zumindest noch entscheiden, wie ich mit dieser Tatsache der völligen Ohnmacht umgehe, oder?
Denn das ist Freiheit.
Vielleicht sogar die einzige Freiheit, die wir wirklich haben.
Ich weiß aber auch, dass viele Menschen gerade nicht nur Not und Krieg erfahren, sondern auch Angst und Ohnmacht gegenüber dieser Situation und dass sie nicht wissen, wie sie das ihren Kindern erklären oder sich von den Bildern im Kopf befreien sollen, die täglich über unsere Mattscheiben zu sehen sind.
Wenn schon der Zweijährige uns in Ohnmacht versetzen kann, weil er die Zähne nicht putzt – was kann dann erst dieser Wahnsinnige mit Atomkoffer in uns anrichten?
Sich nicht ohnmächtig zu fühlen wäre befremdlich.
Die Gefahr des Krieges nicht zu fühlen wäre ungesund.
Das Problem sind die fehlenden Strategien des Umgangs mit Ohnmacht. Die haben wir weder für den Zweijährigen noch für den Wahnsinnigen und dennoch lässt sich sagen, dass die reale Gefahr im Heute schlechter auszuhalten ist, wenn alte erfahrene Ohnmacht hinzuwirkt.
Was wir jetzt brauchen, sind also nicht nur Hoffnung und Vertrauen in ich-weiß-nicht-was, das Leben selbst vermutlich, weil Vertrauen das Gegenmittel zur Angst ist. Wir brauchen auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Ohnmacht, denn immer dann, wenn du für vermeintliche Kontrolle sorgst, z.B. durch Informationen, fütterst du auch die Angst und erhältst die Ohnmacht (Bei den Informationen macht’s die Dosis) und es ist diese Haltung, die dein Kind wahrnimmt und die darüber entscheidet, ob es Angst hat und sich ebenfalls ohnmächtig fühlt. Es sind nicht deine Worte über den Krieg, sondern deine Gefühle zum Krieg, die seine Haltung dazu ausbilden.
Ohnmacht entsteht aus der Erfahrung ohne Macht zu sein.
Ausgeliefert, hilflos, ohnmächtig.
Der Mensch verabscheut dieses Gefühl, weil es geeignet scheint, sein Überleben in Frage stellen zu können.
Du kennst vermutlich die Ergebnisse einer im Jahr 2020 veröffentlichten Umfrage der Uniklinik Ulm im Auftrag des deutschen Kinderschutzbundes und UNICEF?
„Körperliche Gewalt gegen Kinder in der Erziehung hält offenbar knapp die Hälfte der Befragten einer aktuellen Umfrage für angebracht. Jede:r Zweite der 2500 Befragten stimmte der Aussage zu, dass ein “Klaps auf den Hintern” noch keinem Kind geschadet habe. Eine Ohrfeige ist der Umfrage zufolge für rund 23 Prozent in Ordnung. 7,2 Prozent stimmten zu, dass eine “Tracht Prügel” einem Kind eher nicht schade.“ Quelle: Tagesschau.
Jeder! Zweite!
Jeder! Zweite! Hält es für vertretbar, sein Kind zu demütigen und zu erniedrigen
Jeder! Zweite! Nimmt in Kauf, die elterliche Ohnmacht in Macht zu verwandeln und dem Kind die eigene Ohnmacht in die Hand zu drücken.
Jeder! Zweite! Scheut die Auseinandersetzung mit der eigenen Schwäche und ist bereit, Gewalt am Kind auszuüben!
Jeder! Zweite! Verfügt über so wenig Beziehungsfähigkeit, dass er den emotionalen Schmerz des Kindes nicht wahrnimmt!
Jeder! Zweite! Übt Gewalt an seinem Kind aus während jedes Kind ein Recht hat auf gewaltfreie Erziehung.
Und hier sprechen wir „nur“ von körperlicher Gewalt. Nicht aufgeführt ist sexualisierte Gewalt.
Nicht aufgeführt ist psychische Gewalt.
Anschweigen, Auszeiten, Demütigung, Beleidigung, Herabwürdigung, Erniedrigung, Ablehnung.
All das ist Gewalt.
Gewalt ist GIFT.
Jede Form der Gewalt ist Gift für dein Kind und die Beziehung.
Es zerstört nicht nur eure Beziehung, weil es sich seiner Abhängigkeit dir gegenüber bewusst wird und das Vertrauen in dich (und damit die Welt) verliert.
Das Gift verteilt sich in der Beziehung zu sich selbst. Es gerät in eine Ohnmacht und das Gefühl des Ausgeliefertseins und das gefährdet sein psychisches Grundbedürfnis nach Bindung.
An dieser Stelle entsteht Ohnmacht und aus Ohnmacht entsteht Kompensation durch Bemächtigung.
Genau so erhalten wir den Wahnsinn.
Im Kleinen und im Großen.
Gewaltfreie Kindheit heißt nicht nur keine körperliche, sexualisierte, emotionale oder verbale Gewalt anzuwenden.
Gewaltfreie Kindheit bedeutet, die Seele deines Kindes zu wahren, indem du es sein lässt, wer es ist, was bedeutet, ihm die Gefühle zu lassen, die es hat, was bedeutet, dass du lernen musst mit den Gefühlen umzugehen, die dein Kind hat. Was erfordert, dass du die Fähigkeit entwickeln musst, deine eigenen Gefühle zu regulieren, von denen du vor langer Zeit beschlossen hast, sie lieber nicht mehr zu fühlen.
Ohnmacht vorneweg.
Eine nachhaltige und authentische Umsetzung von Gewaltfreiheit erfordert Gewaltfreiheit in dir selbst.
Der Frieden von morgen braucht also die gewaltfreie Erziehung von heute und die braucht den Frieden in dir.
Also schließ Frieden, auch wenn das die Situation an den eskalierenden Spots dieser Welt heute nicht verändert.
Schließ Frieden mit deiner Ohnmacht und deiner Angst.
Frieden mit den Hoffnungen und Wünschen, die sich nicht erfüllen.
Frieden mit dem Konflikt aus dem, was du willst und dem, was ist.
Frieden damit, dass du nur tun kannst, was du tust und dass das manchmal nichts ist.
Schließ Frieden mit dir.
Damit wir diesen Kindern einen Planeten hinterlassen, auf dem sie sich sicher fühlen.
Und in Frieden.
💛
Break the cycle.