Sei frech
Hast du ein „freches“ Kind zu Hause?
Glückwunsch.
Du begleitest eine Urkraft dabei, zu lernen, mit sich selbst umzugehen: Leben und Kraft zu sein und sich aus sich selbst herauszunähren, ohne andere damit zu verletzen.
Gar kein Kinderspiel, oder?
Selten zeigt sich ein Begriff so undefiniert wie das Wort „frech“. Irgendwie wollte sich da jemand nicht so ganz festlegen in der Bedeutung.
Der Duden schreibt dazu „ohne Achtung und Respekt vor anderen sich verhaltend; unverschämt
sowie
keck, (auf liebenswerte Weise) respektlos und draufgängerisch, kess, herausfordernd.“
Ja was denn jetzt?
Fisch oder Fleisch?
Keck oder respektlos?
Ich sag’s dir.
Beides.
Und es ist wichtig, beides in der Frechheit deines Kindes zu erkennen, denn wie das so ist mit Urgewalten: sie tragen die Kraft des Lebens ebenso in sich, wie das Destruktive. Zerstörerisches aber hat in Beziehungen ebenso nichts verloren, wie das Kleinhalten der eigenen Persönlichkeit.
Wenn du also so gar nicht über die Frechheit deines Kindes stolperst, während es ausnahmslos alle anderen um dich herum für frech halten, lohnt sich ein Blick in die eigene Fähigkeit, Grenzen wahrzunehmen und zu wahren. Damit du nichts übersiehst.
Wenn du aber oft und dauernd über die Frechheit deines Kindes stolperst, dich ärgerst, gar verletzt oder gekränkt bist, lohnt sich der differenzierte Blick:
Die Frechheit deines Kindes bewegt sich nämlich grundsätzlich in drei Stadien:
1. Dein Rahmen ist zu eng.
💪Demnach mag dein Kind in deiner Welt frech sein. In seiner Welt ist es nur, wer es ist: unerschrocken, autonom und mit sich okay.
Die Frechheit deines Kindes ist dann lediglich Ausdruck deines Urteils und damit deiner eigenen Limitierung.
💪Dein Woher: Zugehörigkeit und das Vermeiden von Ablehnung durch andere sind ebenso dein Thema wie das übersteigerte Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit und Kontrolle. Dagegen ist nichts auszusetzen. Du darfst es nur dein Kind nicht ausbügeln lassen, indem du an seinem Wesen herumzupfst.
💪Dein to-do: Stell dich der Frage, ob dein enger Rahmen aus Erwartungen tatsächlich deiner Persönlichkeit entspricht oder deiner Angst entspringt. Setz dich damit auseinander, dass dein Kind ein eigenständiges Wesen ist und Entscheidungen treffen darf, die dir nicht nur nicht gefallen, sondern sich auch gegen dich richten.
Wir sehen das oft bei Menschen, die sich zwar mit Erziehung, aber noch gar nicht mit ihrer eigenen Biografie auseinandergesetzt haben.
2. Fortsetzung von Phase 1.
💪Dein Kind zeigt sich nicht frech, um sich damit auszudrücken, sondern weil es muss, und es muss das dann, wenn es Gefahr läuft, sich ein Stückchen zu verlieren, wenn es das nicht ist. In dieser Phase landest du, weil dein Rahmen zu lange zu eng war und du dich in Phase 1 nicht mit dir auseinandergesetzt hast. Dann hält sich dein Kind nicht zuverlässig an Regeln, kümmert sich nicht allzu sehr um deine Vorgaben und Grenzen und diskutiert nicht mehr für die Sache, sondern für seine Autonomie.
Dann war dein Rahmen, in dem es sich bewegen durfte, zu lange zu eng und es weist dich mit seinem Verhalten darauf hin, dass du es in seiner gesunden Entwicklung zu sich selbst behinderst. Das ist auch dann möglich, wenn du der Meinung bist, dass du deinen großen Erprobungsraum zur Verfügung stellst. Nicht deine Wahrnehmung entscheidet nämlich darüber, wie dein Kind sich verhält, sondern seine.
Hier wird’s Zeit für Handlung, denn erfahrungsgemäß wird dein Kind nicht damit aufhören, seine Persönlichkeit und Autonomie seiner Bindung zu dir NICHT unterzuordnen.
💪Zurück ins to-do- der Phase 1.
3. Sackgasse.
💪Dein Kind ist auch nach „objektiven“ Maßstäben frech: es überschreitet regelmäßig deine Grenzen, hält sich an keine Regel und ist vielleicht tatsächlich beleidigend. Es respektiert dich nicht und ist aus der Beziehung zu dir längst ausgestiegen, weil du seiner Meinung nach nie richtig drin warst.
Sei dir sicher, dein Kind ist in diesem Zustand sehr unglücklich und sehnt sich furchtbar danach, von dir in seinem Wesen akzeptiert UND mit dir nah und verbunden zu sein.
Euch steht eine Menge Beziehungsarbeit ins Haus, denn du hast Stadium 1 und 2 zu lange übersehen und gehofft, das würde vergehen.
💪Wichtigstes to-do: Raus aus jedem Anspruch an sein Verhalten. Du kannst dich erklären in deinen Gefühlen und du kannst dich zeigen, aber gerade hast du nichts mehr zu wollen, sondern zu liefern. Nämlich Bedingungslosigkeit. Dein Kind glaubt nämlich aktuell nicht mehr daran, dass es nicht irgendwie sein muss.
Erst wenn du dir dieses Vertrauen zurückerobert hast, gehts auch wieder um deine Bedürfnisse.
Und für alle Phasen gilt, wie du ja weißt: in der Beziehung zu einem Kind trägt immer und ausnahmslos der Erwachsene die Verantwortung dafür, wie diese Beziehung sich gestaltet.
Also sei frech und nicht zurückhaltend.
Bau dir genau die Beziehung, die euch beiden guttut.
Sei keck, herausfordernd und draufgängerisch dabei, dir zu nehmen, was dir zusteht: Freiheit.
Sei unverschämt in deiner Bereitschaft, dich aus deiner eigenen Quelle heraus zu nähren.
Sei frech.
💛
Break the cycle.