Verletzt werden…
Letztens hab ich in einer Gruppe die Frage einer Mutter gelesen, die sich darum sorgt, dass ihr Kind geärgert wird. Das Kind würde dann weinen und ihre Frage war, wie das Kind beim nächsten Mal besser reagieren solle.
Ich kann sehr gut nachfühlen, wie die Mutter sich gefühlt haben muss, denn Mobbing war auch mal in meiner Familie ein Thema. Der ohnmächtige Schmerz, das eigene Kind leiden zu sehen, ist beinahe unerträglich.
Was mich dann aber wirklich erschüttert hat, waren die gut gemeinten Antworten, denn sie sind Ausdruck einer gelernten Hilflosigkeit gegenüber den eigenen Gefühlen und der daraus abgeleiteten Vermeidungsstrategie: so zu handeln, dass dieser Schmerz nie wieder spürbar ist.
Der Tenor war, dass das Selbstbewusstsein des Kindes gestärkt werden müsse, DAMIT ihm das nix mehr ausmacht.
Da blutet mein Herz.
❤️
NEIN.
Bitte sorg nie dafür, dass es deinem Kind nichts mehr ausmacht, wenn es geärgert oder abgelehnt wird.
Bitte stell unbedingt sicher, dass es deinem Kind etwas ausmacht.
Und dann sorg dafür, dass es damit umzugehen lernt.
Negative Gefühle sind nichts, was es wegzumachen oder nicht zu fühlen gilt, egal wie unerträglich sie sich anfühlen mögen, nicht mal dann, wenn wir als Wegmachmittel etwas so Wunderbares wie „Selbstbewusstsein“ heranziehen.
Wobei an dieser Stelle doch mal gesagt sein will, dass Selbstewusstseinn nichts anderes ist, als das Bewusstsein für sich selbst, die eigenen Stärken und Schwächen und Haltungen, also nichts, was dabei helfen würde, dass Anfeindungen einem nichts mehr ausmachen könnten.
Was gern Selbstbewusstsein genannt wird aber eigentlich gemeint ist, ist Selbstvertrauen: das Vertrauen in sich selbst, mit den Herausforderungen des Lebens zurecht zu kommen. Wer aber Selbstvertrauen hat und sich zutraut, mit schwierigen Situationen umzugehen, der muss gar nicht mehr dafür sorgen, dass ihm das Geärgere der anderen nichts mehr ausmacht, weil er ja darauf vertraut, mit den daraus entstehenden Gefühlen umgehen zu können.
Wem es deinem Kind nichts ausmacht, von anderen geärgert zu werden, zeugt das also keinesfalls von Selbstbewusstsein. Es beweist entweder großes Selbstvertrauen in sich, damit zurecht zu kommen oder aber, dass es gut darin ist, negative Gefühle abzulehnen, weil es eben nicht davon überzeugt ist, sie bewältigen zu können.
Weil es das nicht gelernt hat.
Selbstvertrauen hilft also dabei, mit Anfeindungen umzugehen, nicht aber dabei, dass es deinem Kind nichts mehr „ausmacht“. Es muss ihm sogar etwas ausmachen, denn sonst würde es ja über keinen Funken Selbstwertgefühl verfügen und wo kein Selbstwertgefühl, da kein Selbstvertrauen.
Kurz gesagt:
fühlt sich dein Kind und fühlt sich dein Kind als Mensch wertvoll, dann MUSS es deinem Kind etwas ausmachen, geärgert, angefeindet oder abgelehnt zu werden.
Sich des eigenen Wertes bewusst zu sein und zu spüren, wann dieser verletzt wird und dann für sich einzustehen zeugt von Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Der Treibstoff also, der dein Kind zufrieden, weil kompetent durchs Leben bringt, weil er den Raum für Gefühle schafft.
Dafür zu sorgen, dass deinem Kind etwas „nichts ausmacht“ ist Gift für die Beziehung deines Kindes zu sich selbst, denn es ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche.
Eine Schwäche an Gefühlen und der Wahrnehmung von Gefühlen.
Ich wünschte, alle Erwachsenen würden die Verletzungen spüren, würden sich ihrer Gefühle bewusst sein, würden weinen können, wenn jemand gemein oder verletzend war. Ich wünschte, sie würden das und sich nicht übergehen oder zum Angriff blasen, damit das Gegenüber die Verletzung auch bemerken kann, denn erst dann könnte sich das Gegenüber seiner eigenen Verletzung bewusst werden, die es so handeln lässt.
Erst wenn wir nicht mehr behaupten, dass uns etwas „nichts ausmacht“, treten wir in Beziehung zu uns selbst.
Und dann zum anderen.
Erst wenn du nicht mehr „Selbstbewusstsein“ wie Kosmetik auf die Wunde schmieren musst, sondern Authentizität, wird dein Kind lernen, dass Gefühle nichts Gefährliches sind.
Erst wenn wir nicht mehr vor Gefühlen wegrennen, als seien es neunköpfige Monster, die uns verschlingen, können wir den Panzer loswerden, der dafür sorgt, dass uns etwas „nichts ausmacht“.
Bitte bring dein Kind nicht dazu, sich diesen Panzer anzuziehen und sich nicht verletzen zu lassen.
Bitte bring es dazu, mit seiner Verletzung umgehen zu können.
Bitte lass dein Kind wissen, dass Spüren die Superkraft ist und nicht „nicht spüren“.
Lass es wissen, dass Aussagen anderer immer etwas über den anderen sagen, aber nie über es selbst und dass echte Stärke Schwäche kann.
Lass dein Kind sich schwach fühlen, damit es seine Stärke entdecken kann.
Lass sein, dein Kind vor seinen Gefühlen beschützen zu müssen.
Lass sein, dich damit selbst ein bisschen zu beschützen.
Selbstvertrauen ist der einzige Schutz vor den Stürmen, die dein Kind in seinem Leben erwarten.
Vertrauen in sich gewinnt dein Kind, wenn du ihm zutraust, sich zu vertrauen.
Dazu musst du lediglich dir selbst vertrauen und dass auch du mit allen Gefühlen umgehen kannst, die sich dir zeigen.
Sind ja deine und von dir gemacht.
Stell dich.
Dir.
Deinen Gefühlen.
Der Gefahr verletzt zu werden.
Break the cycle.
❤️